…und dann kommt man nach Hause, denkt: „Das verbloggt ich mal kurz“ und weiß gar nicht, wie man alles in Worte fassen soll. Aber ich werde es versuchen. Das Thema lautet „Abschiebung“. Kein populäres, ich weiß – und trotzdem wichtig. Die Theater-AG des Friedrich-Wöhler-Gymnasiums hat ein Stück einstudiert, das in ihrer Heimatstadt Singen so gut ankam, dass es auch für eine Aufführung nach Konstanz eingeladen wurde.
Die Geschichte:
Eine Roma-Familie wird abgeschoben. Nach 11 Jahren in Deutschland werden der Vater, die Mutter und die drei Kinder im Alter von 18, 16 und 14 in den Kosovo abgeschoben. Der 14-jährige Sohn Egzon traumatisiert von der Nacht, die die Familie nach Deutschland trieb. Die 16-jährige Tochter Elvira, zum ersten Mal verliebt in einen deutschen Jungen, leidet an Trennungsschmerz. Die Kinder können die Landessprache nicht, werden in der Schule gehänselt, weil sie „Zigeuner“ seien. Also gehen sie erst gar nicht hin. Die Familie lebt zusammen in einem Zimmer eines maroden Hauses. Der Vater hat keine Arbeit, muss Müll sammeln gehen.
In Deutschland bleibt der Verliebte Bruno zurück. Per Handy hält er Kontakt zu Elvira. Er wird immer verzweifelter und gerät in den Beziehungsstress seines Vaters hinein, der nicht versteht, wieso Bruno trauert. Bruno kann sich ihm nicht mitteilen, er erzählt immer wieder von der Abschiebung, doch sein Vater versteht ihn nicht. Außerdem – er ist Pilot – hat der Vater selbst schon Flugzeuge geflogen, die zur Abschiebung eingesetzt wurden, was bei Bruno auf Entsetzen stößt. Das Einzige, womit er sich ausdrücken kann, ist die Kunst.
Die Familie im Kosovo hat Geldsorgen. Elvira darf bei einem Mann das Internet benutzen, um mit ihren Freunden in Deutschland Kontakt zu halten. Später findet sie einen Job in einer Bar, weil sie deutsch kann. Die beiden Kinder werden von Einheimischen beschimpft und belästigt. Am Ende dreht Egzon durch, verletzt den Mann, der ihnen das Internet bereitstellt, mit einem Messer schwer, weil er denkt er wolle Elvira etwas antun. Auf der Polizeistation wird Egzon lebensgefährlich verletzt und stirbt. Die Familie trauert, der Vater, der auf der Suche nach Egzons Traumagrund war, versucht sich das Leben zu nehmen, was misslingt. Die restliche Familie macht sich auf zum Norden, zum Vater.
Bruno versucht, ermutigt von seiner Kunstlehrerin, zu Elvira zu gelangen, wird jedoch am Flughafen vom Vater gefunden und wieder mit nach Hause genommen.
Weitere Figuren berichten von ihrer Rolle bei der Abschiebung: Der Anwalt, der Flüchtlinge vertritt; die Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde; die Ärztin, die die Abschiebungen begleitet und der Beobachter, der der Abschiebung neutral beiwohnen darf.
Die Inszenierung:
Die verschiedenen Rollen wurden von 3 bis 4 Schauspielern verkörpert, als Merkmal der Figuren fungierte jeweils ein bestimmtes Kleidungsstück. Das Stück wurde in vielen kleinen, meist um die 1 bis 2 Minuten dauernden, Szenen aufgeführt – dazwischen immer wieder dunkel. Als Erzähler dient Egzon, der als Figur stumm ist, jedoch seine Gedanken im Spiel laut ausspricht und Szenen kommentiert, in denen er anwesend ist. Später, nach seinem Tod, kann die Figur dann auch Szenen aus Deutschland sehen und kommentieren.
Im Hintergrund war zunächst eine weiße Wand, die aber nach und nach von den Schauspielern mit Wörtern, Sätzen und Zeichnungen bemalt wurde. So entstand parallel zur Erzählung das Bühnenbild.
Insgesamt konnte man nur staunen über die Inszenierung. Eine Theater-AG, die über so viele, so talentierte Laiendarsteller verfügt, kann sich nur glücklich schätzen. Die Performance war durchweg einfach nur toll und auch die Fülle an Text (immerhin ging das Stück gute 2 Stunden) muss erst einmal – neben schulischen Tätigkeiten – bewältigt werden. Man hatte das Gefühlt, den Schülern lag das Thema sehr am Herzen. Hut ab vor der Leistung und dem Mut, sich einem solchen Stoff anzunehmen.
Die Thematik:
Das Thema ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Doch mich beschäftigt es seit geraumer Weile. Als Mitglied von Amnesty International bin ich oft nah dran an der Problematik. Zusammen mit der Tatsache, dass vor ein paar Wochen eine Familie aus Konstanz abgeschoben wurde, was viel Aufsehen und Empörung hervorgerufen hat, wird es mir immer bewusster, dass Abschiebungen an der Tagesordnung sind.
Die, oft sehr gut integrierten, Familien und vor allem die Kinder, werden aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, müssen mitten in der Nacht in kürzester Zeit ihr Hab und Gut packen, werden in ein Flugzeug gesetzt und in einem Land ausgesetzt, das sie nicht kennen. Oft bleiben sie ohne Pass zurück und müssen sich von da an durchschlagen, sich eine Bleibe und Arbeit suchen. Nicht selten sind es Roma, eine Volksgruppe, die in osteuropäischen Ländern diskriminiert werden, die keine Chance haben, sich ein Leben auszubauen, weil die Gesellschaft sie nicht will. Die Kindern dürfen nicht in die Schule, Arbeit wird nicht an sie vergeben.
Ein guter Satz zur berühmten „Armutseinwanderung“ ist mir im Gedächtnis geblieben und so unglaublich wichtig: „Armut ist nur das Abbild der Diskriminierung“. Die Erklärung von Staaten zu „sicheren Herkunftsländern“ macht es den westeuropäischen Staaten einfach, vermeintlich ungewollte Personen einfach abzuschieben, weil sie ja gar nicht diskriminiert würden. Ein Land, das für keiner seiner Volksgruppen oder einzelne Personen gefährlich ist – klingt traumhaft, ist aber meiner Meinung nach völliger Humbug. Ebenfalls ein absurder Fakt: Die EU gibt dreimal so viel Geld für die Abschottung von Grenzen aus als für die Verbesserung von Asylverfahren…
Das Stück hat gezeigt, wie die Folgen einer Abschiebung aussehen können. So oder ganz anders passieren Abschiebungen täglich in Deutschland. Darüber nachzudenken, was das für die Betroffenen bedeutet, ist sicherlich lohnenswert.
Links:
Bündnis Abschiebestopp Konstanz | Facebook
UNHCR
aktueller Amnesty-Bericht zur „Festung Europa“ (Jul’14)